In der Vorwoche, am 24. März 2018, ist die ehemalige Showgrösse Lys Assia verstorben. Alleine, im Spital Zollikerberg, und im Alter von 94 Jahren. Zur Erinnerung: Lys Assia hatte 1956 den allerersten Prix Eurovision de la Chanson, den heutigen Eurovision Song Contest, gewonnen. Die Medien haben über ihren Tod berichtet, und die meisten der Nachrufe sind nicht ausgekommen ohne Seitenhiebe auf die weniger ruhmreichen Momente ihrer Karriere: Der TAGESANZEIGER erinnerte genau so wie die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG noch einmal daran, wie Assia nach einem Duett mit Beatrice Egli dieser Vorwürfe bezüglich deren Figur machte – als ob diese Episode relevant wäre angesichts der Erfolge von Assia an der Seite von Frank Sinatra, Marlene Dietrich oder Dean Martin. Eine Woche später legte der SONNTAGSBLICK mit der Geschichte „Vom Rampenlicht in die Einsamkeit“ nach und beschrieb anhand allerlei Details, wie aus dem Weltstar von einst eine eigenwillige, um nicht zu sagen: verschrobene ältere Dame geworden war, die in den letzten Jahren nicht selten respektlos behandelt wurde – dasselbe aber mit anderen Menschen auch tat.
Mit dem Tod von Lys Assia stellt sich die Frage, wie die Schweiz mit ihren Weltstars von einst umgeht. Der besagte Blick-Artikel zitiert bereits den rüpelhaften Umgang des Musikjurors Stämpf (who the fuXX is Stämpf?) in einer Qualifikationssendung für den Song Contest. Sein Verhalten ist typisch für die gesamte Schweizer Gesellschaft. Anders als in anderen Ländern und allen voran den USA, welche ihren Stars auch noch viele Jahre über deren Tod ein ehrendes Andenken bewahren, lassen wir sie vergessen. Alleine über Frank Sinatra gibt es in den USA Museen und eine Wanderausstellung – ein Museum zum Schaffen der Schweizer Unterhaltungsmusik fehlt indes bis heute.
Zum Vergleich: Am Tage dieser Veröffentlichung berichtet BILD.DE über die Einweihung des ersten Helmut-Kohl-Platzes – passiert in Mainz. Und weniger als ein Jahr nach Kohls Tod. – Nun war Kohl ein bedeutender Politiker und keine Showgrösse. Trotzdem: Auch Jahre nach deren Tod sucht man in der Schweiz noch immer vergebens nach einem Udo Jürgens-Platz, einer Hazy Osterwald-Strasse oder einem Geschwister Schmid-Weg. Sie alle waren Weltstars, haben in den USA getourt und dort Hallen gefüllt. Nur in der Schweiz sind sie vergessen.
Oder Vico Torriani: Der Engadiner aus St. Moritz hatte von den Fünziger bis in die Achtziger-Jahre eine beispiellose Karriere gemacht als Schlagersänger, Musical- und Filmdarsteller und TV-Showmaster. Hatte Gassenhauer geschrieben wie „Kalkutta liegt am Ganges“ oder „Silberfäden“. 2016 wurde in St. Moritz im neu-restaurierten Hotel „Reine Victoria“ das Musical „Hotel Victoria“ mit seiner Lebensgeschichte aufgeführt. Medienpräsenz bei der SRG? Ein Radiobeitrag im Regionaljournal Graubünden und ein Internet-Beitrag. Und ein Tagesschau-Beitrag, der wiederum eingeleitet werden musste mit einer Strassenumfrage aus dem Archiv, die belegen soll, dass seinerzeit nicht alle Torrianifans gewesen waren. Na und? Das gilt wohl für jede Person, die sich in der Öffentlichkeit exponiert. Es scheint, dass es in diesem Land nicht möglich ist, die Erfolge seiner Stars darzustellen, ohne dem Reflex zu erliegen, sie gleich wieder kleiner machen zu müssen. Notabene gibt es bis heute keinen Vico Torriani-Platz.
Ebenso wenig wie für die Geschwister Schmid, Nella Martinetti, Hazy Osterwald, Marthely Mummenthaler. Einzig nach Artur Beul, der viele der Lieder dieser Stars geschrieben hat, ist in Zollikon ein Weg benannt. Und Mani Matter, dem, nicht zuletzt dank des grossen Engagements seiner Frau Joy, das Schicksal des Vergessens erspart blieb. Anders als die Vorgenannten war Matter mit seiner Musik zwar nie ein Weltstar geworden, dank seinen gesellschaftskritischen Texten aber dafür in Erinnerung. Mit Gesellschaftskritik ist es in der Schweiz also ganz offensichtlich einfacher, zum Denkmal zu werden, als mit Unterhaltung.
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