Die Woche war geprägt von einer medienethischen Debatte. Stein des Anstosses: Ein ganzseitiger Text von TAGESANZEIGER-Redaktor Phlipp Loser über den Bündner Verleger Hanspeter Lebrument – prominent auf Seite 3 der Samstagsausgabe des TAGESANZEIGER vom 31. März 2018. Titel: „Der Alte vom Berg“.

Loser schrieb also eine ganze Seite über den Bündner Verleger, der wohl, da sind sich fast alle im Land einig, durchaus als „streitbar“ bezeichnet werden darf*.  Nur: Loser hat mit Lebrument kein einziges Wort gewechselt. Und überschreibt seinen Text dennoch mit „Portrait“. Als Grund dafür (manche würde von Ausrede sprechen) schreibt er, Lebrument sei für seine Zeitung nicht zu sprechen gewesen, weil er in Asien weile.

Für Diskussionen sorgte überdies eine Passage am Ende der ersten Spalte: „Jetzt kreisen die Geier. Man hört sie kreischen, sie kommen näher.“ Das Sprachbild insinuiert, Lebruments Somedia-Gruppe stehe kurz vor dem Konkurs. Ins selbe Horn bläst ein anonymes Zitat am Ende des Artikels. Ein „ehemaliger Weggefährte“ wird dort zitiert mit den Sätzen: „Es ist die pure Verzweiflung. Alles bricht weg, wird in Grund und Boden gwirtschaftet.“ Dazu der Hinweis, die Gruppe habe seit 2015 keine Geschäftszahlen mehr publiziert (wozu die Somedia allerdings auch nicht verpflichtet ist).

Der Artikel hat verschiedene geharnischte Reaktionen ausgelöst. Matthias Ackeret vermutet auf PERSOENLICH.COM Konzernjournalismus und fragt, ob der TAGES-ANZEIGER als Titel der Zürcher Tamedia-Gruppe hier einen Mitbewerber auf dem Medienmarkt bewusst „jagen“ wolle.

Ins selbe Horn bläst René Zeyer auf MEDIENWOCHE.CH. Wie Ackeret moniert er zurecht, dass es doch etwas dürftig sei, mit einigen anonymen Zitaten und ohne auch nur eine einzige Finanzkennzahl ein Unternehmen in die Nähe des Untergangs zu schreiben.

Zeyer wirft aber auch eine grundsätzliche Frage auf. Die nämlich nach dem Umgang mit anonymen Quellen und deren Zitaten. Wie eigentlich jede/r Journalist/in wissen sollte: Sie sind grundsätzlich heikel. Unter dem Mantel der Anonymität ist es einfach, über seinen Boss, einen ehemaligen Arbeitskollegen, einen Mitbewerber oder wen und was auch immer abzulästern. Menschen lassen sich gerne verführen, und wer einmal in einer grösseren Firma gearbeitet hat, weiss, wie es geht. Das Kommunizieren von Tratsch und Gerüchten gehört vielerorts zur Hauptbeschäftigung und ist ein wichtiger Teil des Stellenprofils, auch wenn die Mikropolitik in keiner Stellenbeschreibung auftaucht.

Wenn also, wie im Falle von Loser, ein „ehemaliger Weggefährte“ entsprechende Äusserungen macht, dann müsste ein sauber und fair arbeitender Medienmann sich durchaus die Frage stellen: Warum steht er denn nicht mit seinem Namen hin? Ist es vielleicht, weil er die Konfrontation scheut? Und weiss, dass er dann plötzlich auf ganz dünnem Eis stehen würde, weil sich seine – dann nicht mehr anonymen – Vorwürfe nicht belegen oder gar als falsch herausstellen würden? Solche Überlegungen nannte man früher „Quellenkritik“.  Junge Journalistinnen und Journalisten lernten noch, immer zu hinterfragen, welche Interessen ihre Quellen mit den gegebenen Auskünften selbst verfolgten oder verfolgen könnten.

Im heutigen Journalismus heisst es vielmehr: „Recherier‘ Dir Deine Geschichte nicht kaputt“. Das Gespräch mit einer Zweit- oder Drittquelle könnte nämlich ergeben, dass an der These doch nicht soviel dran ist. Und die Geschichte plötzlich stirbt. Deshalb gilt das Motto: Lieber nicht mit zu vielen reden. Und schon gar nicht mit den Kritisierten. Auch die könnten nämlich eine These widerlegen. Dass Tagi-Redaktor Loser in dem „Portrait“ seinen Protagonisten Lebrument nicht zu Wort kommen liess, hat er übrigens auf PERSÖNLICH.COM begründet: Die Aktualität sei so drängend gewesen, dass er nicht habe abwarten können, bis Lebrument aus seinen Asien-Ferien reagiert hätte.

Aha.

Ganz wohl scheint dem TAGESANZEIGER mit seiner Geschichte unterdessen offenbar doch nicht mehr zu sein. Der Artikel ist unterdessen auf dem Portal von TAGESANZEIGER.CH verschwunden. Wer die entsprechende Seite als Faksimile auf der Schweizerischen Mediendatenbank abrufen möchte, erhält eine weisse Fläche. Christoph Zimmer, Head of Communications bei der Tamedia AG, hält dazu auf Anfrage unseres Blogs fest : „Unser Verleger und die Chefredaktion des Tages-Anzeigers haben sich entschieden, den Artikel zurückzuziehen, weil er weitgehend auf anonymen Quellen basiert, der Portraitierte nicht zu Wort kommt und verschiedene Werturteile nicht belegt sind.“

 

 

 

 

 

 

 

Der umstrittene Beitrag als Faksimile gemäss der Berichterstattung auf persoenlich.com (links), das Faksimile, wie es heute auf der Schweizerischen Mediendatenbank und Swissdox abrufbar ist.

*Der Autor hatte Lebrument selbst im Rahmen seiner Tätigkeit bei Tele Ostschweiz erlebt und an Verhandlungen mit Lebrument über eine Kooperation zwischen TeleSüdostschweiz und TeleOstschweiz teilgenommen. Dier Verhandlungen hatten mit Lebruments Zusage geendet, man wollte weiter verhandeln. Am nächsten Tag verschickte „Lö“ eine Medienmitteilung, in welcher er eine Kooperation mit einem Mitbewerber von Tele Ostschweiz bekanntgab.