Die Medienwoche im deutschsprachigen Europa war geprägt von einem Ereignis: einem Video, das den österreichischen Vize-Kanzler Heinz-Christian («H.C.») Strache zusammen mit seinem Parteikollegen Johann Gudenus in einer Villa auf Ibiza zeigt. Mit dabei auch eine junge Frau, welche die Rolle der Nichte eines russischen Oligarchen spielt. Und den beiden Politikern Zugeständnisse abringt, die gar nicht gehen.

Die Folgen des Videos: eine Regierungskrise, welche auch den 32-jährigen ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz und die gesamte Regierung den Job kosten und zu Neuwahlen in Österreich führen – mutmasslich im September dieses Jahres.

Das Brisante an den Videoausschnitten, die im Jahr 2017 entstanden waren und genau eine Woche vor der Europa-Wahl öffentlich werden: Strache erläutert in dem Gespräch im vermeintlich privaten Rahmen die Möglichkeit, die russische Oligarchenfamilie könnte die österreichische KRONEN ZEITUNG übernehmen und dort Einfluss auf die Parlamentswahl nehmen, indem FPÖ-Politiker entsprechend gepuscht würden.

Anschliessend wird besprochen, wie Wahlkampfspenden über gemeinnützige Vereine der FPÖ zugeschanzt werden könnten – mutmasslich im Widerspruch zur österreichischen Parteienfinanzierungs-Gesetzgebung. Und schliesslich, wie Strache in der Regierung dafür sorgen werde, dass Bauaufträge dann neu den Firmen der russischen Oligarchin zugeschanzt würden.

Die Videoausschnitte waren der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und dem SPIEGEL zugespielt worden, welche in einer konzertierten Aktion am Freitag, den 18. Mai 2019, darüber berichteten. Beide Titel mit längeren, aber sehr fundierten Artikeln, hier die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG Mit der Folge, dass Strache am Folgetag als Vize-Kanzlei der Republik Österreich zurücktrat und Kanzler Sebastian Kurz später am Abend bekannt gibt, die Koalition mit der rechtsnationalistischen FPÖ aufzugeben.

Der Vorgang hat neben der politischen Debatte auch zu einer medienpolitischen und medien-ethischen geführt. Strache selbst sprach von einem «politischen Attentat» auf seine Person und versuchte noch in der Rücktrittserklärung, sich das Opfer darzustellen.

Schnell machten Verschwörungstheorien die Runde, begründet damit, die Aufnahmen seien sehr aufwändig mit verschiedenen Kameras in einem verwanzten Raum gedreht worden, was (angeblich) das typische Muster von ausländischen Nachrichtendiensten sei.  Auch der Leiter des Schweizerischen Nachrichtendienstes verstieg sich zu dieser These, allerdings ohne darauf einzugehen, wie er diese begründet oder ob der dafür Quellen besitzt. Wobei bis heute nicht klar ist, welcher Geheimdienst ein Interesse an einer solchen Aktion hätte haben können.

Der Datenschutzbeauftragte des Bundeslandes Baden-Württemberg argumentiert, mit der Veröffentlichung der Video-Sequenz hätten die Medien falsch gehandelt – die Tonsequenzen wären ausreihend gewesen.

Darüber hinaus stellte Strache in Österreich Strafanzeige gegen die Urheber des Videos.

Was ist davon zu halten?

Zunächst ist es grundsätzlich so, dass in den europäischen Rechtsordnungen das unerlaubte Aufzeichnen von privaten Gesprächen auf Video- oder Audioträger grundsätzlich unter Strafe stehen.

Die Frage, ob solche Aufnahmen in der Medienberichterstattung verwendet werden dürfen, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Beispiel eines Falls aus der Schweiz beantwortet: Es ging dort um versteckte Aufnahmen der Sendung KASSENSTURZ, die einen Versicherungsvertreter zeigten, der potentielle Kunden mit völlig unqualifizierten Aussagen zum Abschluss eines Vertrages drängte. Der EGMR hatte dem SCHWEIZER FERNSEHEN Recht gegeben und erläutert, dass solche Aufnahmen gezeigt werden dürften, wenn auf andere Art und Weise ein Sachverhalt nicht dargestellt werden könnte.

Die Güterabwägung besteht als zwischen dem Schutz der Privatsphäre einerseits und dem öffentlichen Interesse andererseits. Die Mehrheit der Kommentator/innen findet im Hinblick auf das Strache-Video wohl völlig zurecht, dass hier das öffentliche Interesse überwiegt. Wenn ein Video aufzeigt, wie ein Regierungsmitglied unmittelbar vor der Wahl, die ihm den Einzug in die Regierung erst ermöglicht hatte, bereit war, zu mutmasslich illegalen Parteispenden Hand zu bieten, die Öffentlichkeit zu manipulieren und die offensichtliche Bereitschaft zur Manipulation von Auftragsvergaben bekundet, dann kann das schlechterdings nur von grosser politischer Relevanz sein.

Die Versuche Straches, sich als Opfer darzustellen und darauf zu verweisen, dass die Aufzeichnungen illegal erfolgt und er in eine Fall gelockt worden sei, vermögen nicht zu greifen. – Und das ganz einfach deshalb nicht, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger eines demokratischen Staates erwarten dürfen, dass ein Regierungsmitglied zu solchen Aktionen keine Hand bieten möge. Nie. Daran mag auch nichts ändern, dass Strache nach seinen eigenen Aussagen bei der Aufzeichnung betrunken gewesen war und deshalb nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Auch hier vergisst er, dass von einem Aspiranten auf einen Ministerposten erwartet werden darf, dass er sich soweit unter Kontrolle hat, dass es sich nicht in die Situation bringt, unter Alkoholeinfluss und offensichtlich tief beeindruckt von den körperlichen Attributen eines jungen weiblichen Lockvogels zu Aussagen wie den hier gemachten hinreissen zu lassen. Das müsste auch deutsch und deutlich all‘ denjenigen gesagt werden, die Strache aufgrund ihrer politischen Nähe in der gegebenen Situation immer noch die Stange halten.

Wurde H.C. Strache eine Falle gestellt? Das mag sein, der Punkt ist aber eben der, dass von einem Regierungsmitglied zu erwarten ist, dass es nicht in eine solche Falle hineintappt – erst recht in eine dergestalt plumpe Falle. Wer sich so verhält, hat in einer Regierung nichts verloren.

In diesem Zusammenhang erachten wir es auch als gerechtfertigt, die Videoausschnitte wie geschehen zu zeigen und nicht einfach nur im Wort darüber zu berichten, wie das . Und erscheint richtig, dass sich das Publikum über die Atmosphäre, die bei dem Gespräch geherrscht hatte und auch über den tatsächlichen Grad der Betrunkenheit ein eigenes Bild machen kann – und das ist viel besser möglich, wenn das bewegte Bild – und nicht nur eine Tondatei – zur Verfügung steht. Die Redaktion des SPIEGEL hat auf die verschiedenen Aspekte der Veröffentlichung ausführlich Stellung genommen und begründet ihren Schritt nachvollziehbar und einleuchtend. Auch die Frage, warum die Veröffentlichung ausgerechnet eine Woche vor der Europa-Wahl erfolgte. – Das mag zwar den politischen Gegnern der FPÖ nicht passen, es ist aber vollkommen nachvollziehbar, dass dergestalt relevante Informationen nach Möglichkeit vor einer wichtigen Abstimmung publik gemacht werden. – Auch unter diesem Aspekt erscheint es zu billig, den Überbringer der Nachricht zu geisseln, statt mit dem Finger klar auf diejenigen zu zeigen, die den Schlamassel mit ihrem unmöglichen Verhalten ausgelöst haben.

Schliesslich die Verschwörungstheorien. Der Hinweis, die Aktion sei so aufwändig geplant gewesen, dass als Urheber praktisch nur ein ausländischer Nachrichtendienst dahinterstecken könne, erscheint uns eher verwegen. Die österreichische KRONEN ZEITUNG berichtet, eine ehemalige Sicherheitsfirma stecke hinter der Aufzeichnung und nennt Kosten für das Video von 380’00 Euro. – Zudem soll die besagte Villa in Ibiza schon früher von für Abhöraktionen verwendet und dementsprechend «ausgerüstet gewesen sein.» Zudem gibt es Gerüchte, dass das Videos schon vor einiger Zeit für viel Geld angeboten worden, aber niemand interessiert gewesen sei – und, so die KRONEN ZEITUNG, das Video zwar nicht von Nachrichtendiensten aus dem Ausland initiiert, solchen Diensten aber bekannt gewesen sein soll.