Man liest es immer wieder: Eine Firma habe ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Maulkorb verhängt. Oder die BLICK.CH-Geschichte dieser Woche: Der englische Palast habe der Mutter von Neo-Herzogin Meghan Markle verboten, zu erzählen, ob ihre Tochter glücklich sei. Was steckt dahinter?
In der Regel ein ganz simpler und eigentlich sehr wohl nachvollziehbarer Vorgang. Medienschaffende benützen allerlei Tricks, positiv formuliert: Explorationstechniken, um von ihren Gesprächspartnerinnen und -partnern Informationen zu erhalten. Mit Vorliebe natürlich solche, die sie dann für eine saftige Schlagzeile verwenden können. Oft genug legen Sie ihren Quellen zum Beispiel die Sätze in den Mund. Aus der Frage an eine Putzfrau des Königshauses: „Könnte es sein, dass Kate eifersüchtig ist auf Meghan“ wir dann die Schlagzeile: „Kate eifersüchtig auf Meghan“, wenn die Putzfrau auch nur sagt: „Ich weiss es nicht, aber es könnte schon sein.“
Oder: Der Journalist fragt den Gast einer Mitarbeiterveranstaltung: Hatte der CEO Alkohol getrunken? Aus der Antwort „Ich habe ihn mit einem Drink in der Hand gesehen“ wird dann als Schlagzeile „CEO der Firma XY an Mitarbeiterparty im Suff“.
Medienschaffende nennen das „zuspitzen“. Ob die Behauptung dann überhaupt noch stimmt, ist leider, mit zunehmender Tendenz, sekundär. Hauptsache die Schlagzeile ist sexy.
Wie reagieren Organisationen auf diese Situation? Sie kanalisieren Medienanfragen zu ihren Spezialisten. Zu Mediensprecher/innen, welche die Tricks und Kniffe der Medienschaffenden kennen. Die beispielsweise keine Ja oder Nein-Antworten auf Suggestivfragen geben, weil sie wissen, dass ihnen dann aus den Suggestivfragen eigene Aussagen in den Mund gelegt werden. Gleichzeitig halten sie alle die, welche im Umgang mit Medienschaffenden nicht geübt sind, dazu an, nicht mit Medienschaffenden zu reden. Weil sie wissen, was passieren kann.
Für den Journalisten ist das natürlich ärgerlich. Wenn er dann auf eine Mauer des Schweigens stösst, weil ausser der offiziellen Medienstelle niemand mit ihm spricht, „rächt“ er sich auf seine Weise. Sobald ihm ein Mitarbeiter sagt, er dürfe nicht mit ihm sprechen, wird das in der Berichterstattung zum besagten „Maulkorb“.
Das dürfte auch im Beispiel von Meghans Mutter der Hintergrund der Schlagzeile sein. Meghans Mutter ist den Umgang mit den Medien nicht gewohnt. Und der englische Hof weiss ganz genau, dass die Medienschaffenden wie die Geier darauf warten, dass die Mutter von Meghan irgend‘ etwas Persönliches über ihre Tochter erzählt – gegenüber Journalisten, oder gegenüber ihren Freundinnen, die dann, genau so wenig geübt im Medienumgang, von den Jouranlist/innen angegangen werden. Mit der Verschwiegenheitserklärung haben sie letztlich auch Meghans Mutter einen Dienst erwiesen. Sie läuft damit nicht das Risiko, so in den Medien „verheizt“ zu werden, wie die weiteren Familienmitglieder der ehemaligen Schauspielerin.
Für uns als Medienkonsumenten bleibt der Rat, die ganzen „Maulkorb“-Geschichten in den Medien zu relativieren. In 95% aller Fälle steckt keine Ungeheuerlichkeit dahinter oder der Versuch, ungeliebte Berichterstattung zu verhindern. Sondern schlicht der berechtigte Anspruch, dass Medienschaffenden sich mit Quellen auseinandersetzen sollen, welche ihnen auf Augenhöhe begegnen und die sich nicht so einfach vorführen lassen, weil sie medienunerfahren sind.
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