Die neue Woche war geprägt von einem Zwischenfall, der auf Social Media, konkret: Auf Facebook, seinen Anfang nahm. Dort hatte der Aargauer SVP-Nationalrat Andreas Glarner anfangs Woche aus einem Schreiben einer Zürcher Primarlehrerin an die Eltern ihrer Klasse zitiert und öffentlich dazu aufgerufen, ihr die Meinung zu geigen. Dazu postete er auf Facebook nicht nur deren Namen, sondern auch die Handynummer.
Nur: Die junge, noch nicht 30-jährige Lehrerin hatte nichts anderes getan, als Eltern darüber informiert, dass sie mit einer einfachen Abmeldung ihre Kinder für Bayram, einen muslimischen Feiertag, von der Schule dispensieren können. Exakt so, wie es das Zürcher Volksschulgesetz vorsieht. Mit anderen Worten. Die Frau hat einfach nur ihren Job gemacht.
Die Folge: Die junge Lehrerin wurde laut Medienberichten so massiv belästigt, bedrängt und bedroht, dass sie sich krankschreiben lassen musste. Was Glarner, als ob er nicht schon genug Schaden angerichtet hätte, zum Anlass nahm, noch einmal gegen die Lehrerin zu schiessen, weil sie sich seiner Meinung nach zu unrecht hatte krankschreiben lassen.
Laut TAGESANZEIGER will die Lehrerin mithilfe der Schulbehörden jetzt juristisch gegen Glarner vorgehen.
Derweil kocht die Volksseele. Während Glarners Anhänger ihn
auf seinem Facebook-Profil noch immer verteidigen, erntet ein Post einer offenbar betroffenen Mutter grosse Zustimmung.
Sie berichtet, wie sie ihrer Tochter zu erklären versucht, warum die beliebte Lehrerin zur Zeit nicht mehr vor der Klasse steht.
Wer meine Kolumnen regelmässig liest, weiss, dass ich sehr für die freie Debatte stehe. Und auch immer wieder Medienschaffende kritisiere, welche Kritik an ihrer Arbeit mimosenhaft als „Gefahr für die Pressefreiheit“ geisseln. Ich stehe tatsächlich dafür ein, dass, wer in der Küche arbeiten will, die Hitze ertragen muss, sonst hat er dort nichts verloren. Mit anderen Worten: Wer professionell im Geschäft mit Informationen, Meinungen und Meinungsmache mitmischt, muss sich dieser Debatte stellen. Wer andere kritisiert, muss selbst Kritik einstecken können.
Dazu gehört auch, mit Ausfälligkeiten aus der Reihen der dumben Idiot/innen, welche nicht zwischen Debatte zur Sache und Unflätigkeien oder gar Drohungen zu unterscheiden wissen, umgehen zu können. – Das muss jede oder jeder können, welche/r Teil des öffentlichen Diskurses ist, und ich bin durchaus auch der Meinung, dass Grenzüberschreitungen allenfalls auch über das Mittel der Strafanzeige zurückzubinden sind. Insbesondere, wenn Gewaltandrohungen ins Spiel kommen.
Was hier aber geschehen ist, hat damit nichts zu tun. Glarner hat eine Lehrerin, die nie die Öffentlichkeit gesucht hat, sich auch nicht mit politischen Forderungen an die Öffentlichkeit gewandt hat, dem Mob der dumben Idiot/innen ausgesetzt und diesen mehr oder minder direkt aufgefordert, die Frau fertigzumachen. Anders kann man Glarners Aufforderung nicht verstehen. Der gelernte Lüftungsspengler ist entweder selbst intellektuell nicht in der Lage, zu verstehen, was er mit seinen unqualifizierten Posts anrichtet, oder aber er betätigt sich ganz gezielt als Brandstifter.
Was davon auch immer zutreffen mag. Klar ist nur: Wer so agiert, hat in einem nationalen Parlament nichts verloren.
Die Affäre wirft aber auch einen Schlagschatten auf den Zustand der Partei ein halbes Jahr vor den Wahlen. Statt von Glarner den fälligen Rücktritt von allen Ämtern zu verlangen, versucht die Parteileitung der SVP die Affäre auszusitzen und äussert sich nicht öffentlich dazu. Immerhin gibt es einige Exponenten der Partei, die Klartext reden. Einer von ihnen ist der Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer.
Im SONNTAGSBLICK vom 9. Juni 2019 wird er zitiert mit den Worten: „«Kein Politiker sollte öffentlich eine Lehrerin an den Pranger stellen, die einfach ihren Job macht.» Wenn schon, müsste man auf politischem Wege die Verordnung der Schule ändern.“ Laut dem Artikel sollen auch andere SVP-Parlamentarier unzufrieden sei, „es brodelt in der Faktion“, soll ein namentlich nicht genannt werden wollender Parlamentarier der Zeitung gesagt haben.
Aber auch der Zustand der Medienlandschaft spiegelt sich in der Affäre wider. die Kontroverse ist noch nicht ausgestanden, vermeldet Glarner, dass er am Sonntagabend im SONNTALK auf TELE ZÜRI eingeladen sei. – Verantwortung übernehmen, hätte in diesem Falle heissen können, Glarner links (bzw. rechts) liegenzulassen, statt ihm noch eine Plattform zu gewähren. Aber der Drang, die Situation auszukosten und dank Glarner zusätzliche Quote zu generieren, ist offenbar wichtiger.
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