Die Woche 41 war unter anderem durch einen Gerichtsprozess geprägt – denjenigen nämlich gegen einen Sohn von SVP-Bundesrat Ueli Mauer. Dieser Prozess hatte schon lange im Vorfeld zu reden gegeben, weil der Verteidiger des Angeschuldigten den Antrag gestellt hatte, den Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen. Grund: Er befürchtete, dass die Medien die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten nicht berücksichtigen würden. Und er sollte Recht behalten.
Das betroffene Bezirksgericht Hinwil hatte einen – ziemlich dümmmlichen -, in einzelnen Medien als „Kompromissentscheid“ kommentierten Entschluss gefasst: Die Medien sollten zugelassen, ansonsten aber das Publikum ausgeschlossen werden. Dies ist insofern dümmlich, als dass die Persönlichkeitsverletzung kaum von Seiten irgendwelcher privater Prozessinteressierter zu befürchten war, sondern eben von den Medien.
Das Obergericht Zürich schützte den Entscheid der Vorinstanz ebenso wie das Bundesgericht (BGE 1B_87/2018).
Als Gegenpartei aufgetreten war in dem Fall nicht nur die Tamedia als Herausgeberin von Blättern wie dem TAGESANZEIGER oder der SONNTAGSZEITUNG und dem ZÜRCHER OBERLÄNDER, sondern auch die SCHWEIZERISCHE DEPESCHENAGENTUR SDA oder die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG NZZ. Sie monierten, gerade bei den Sprösslingen von Regierungsmitgliedern sei die Prozessbeobachtung durch die Medien notwendig, um sicherzustellen, dass keine Gefälligkeitsurteile gefällt und auch die Familienmitglieder höchster Amtsträger nicht etwa von der Justiz bevorteilt würden.
Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen und war für das Bundesgericht auch massgeblich. Justizöffentlichkeit sei von grosser Bedeutung, argumentierte das höchste Schweizer Gericht (aufgrund von früheren Urteilen wenig überraschend). Gerade in einem Fall wie dem gegebenen, wo sich die Öffentlichkeit davon überzeugen können müsse, dass die Justizia unabhängig von der Tatsache, dass es sich beim Beschuldigten um das Kind einer hohen Magistratsperson handle, zum gleichen Urteil komme wie bei einem Täter aus einem anderen Milieu.
Gleichzeitig merkte das Bundesgericht allerdings auch an, dass auch der beschuldigte Sohn eines Bundesrates das Recht auf eine anonymisierte Berichterstattung habe. Original-Ton aus dem Urteil:
Kurzum: Die Medien werden nicht ausgeschlossen, aber angehalten, anonymisiert zu berichten, so wie das das Bundesgericht in seinem Urteil beispielsweise auch tut.
Und was haben die Medien gemacht?
Kaum ein Medientitel hat NICHT schon im Titel zu seiner Berichterstattung den Namen Maurer genannt. Das gilt auch für die SCHWEIZERISCHE DEPESCHENAGENTUR SDA.
TAGESANZEIGER-Gerichtsreporter Thomas Hasler beispielsweise berichtet im TAGESANZEIGER vom 19. Oktober auf einer ganzen Seite – 11’115 Zeichen über einen Prozess, der ohne den prominenten Vater des Angeschuldigten wohl nicht einmal einen Prozessberichterstatter wert gewesen wäre. Der Name „Maurer“ fällt 18 Mal. Natürlich geht Hasler auch ausführlich auf die Versuche des Täters ein, seine Taten vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen und zitiert genüsslich aus dem Bundesgerichtsurteil. Selbstredend natürlich nur aus denjenigen Abschnitten, in denen das Bundesgericht argumentiert, warum die Presse nicht ausgeschlossen werden soll: Die Passage des Bundesgerichtsurteils, indem den Medienschaffenden ins Stammbuch geschrieben wird, auch der Bundesratssohn habe Anspruch auf eine anonymisierende Berichterstattung, erwähnt Hasler selbstredend nicht.
Imnmerhin, zwei löbliche Ausnahmen gilt es festzuhalten: Die SRF-Medien Radio und Fernsehen SRF haben sich als einzige konsequent zurückgehalten. Sie haben über den Prozess überhaupt nicht berichtet. Wohl deshalb, weil sie sich gesagt hatten, dass sie auch nicht über den Fall berichtet hätten, wenn es sich beim Täter um eine andere Person gehandelt hätte – die Straftaten waren schlicht zu wenig öffentlichkeitsrelevant. Dasselbe gilt für die Neue Zürcher Zeitung und ist deshalb erstaunlich, weil auch die NZZ vor Gericht für die Zulassung der Medien gekämpft hatte – am Ende aber wohl gleichermassen zum Schluss kam, dass die Geschichte zu wenig hergab, wenn man von dem Promifaktor einmal absah.
Fazit: Weder Gerichtsbarkeit noch Medien haben den Test bestanden. Die Gerichtsbarkeit deshalb nicht, weil der Fall exemplarisch aufzeigt, dass vor dem Gesetze nicht jeder gleich ist, wie das Verfassung und die Menschenrechtsgarantien eigentlich nahelegen würden und wie es die Gerichte zu garantieren hätten. Wer aus einer prominenten Familie stammt und delinquiert, muss damit rechnen, dass er öffentlich denunziert wird. Für alle andern gilt der Anspruch auf anoymisierte Berichterstattung. Darüber hinaus hat das Bezirksgericht Hinwil beim Strafmass die öffentliche Vor-Verurteilung des Beschuldigten durch die Medien nicht strafmildernd berücksichtigt, wie es das Gesetz eigentlich vorsieht. Offenbar fehlte den Bezirksrichtern der Mut dafür, nachdem sie unter permanenter Medienbeobachtung standen.
Kläglich versagt haben aber vor allem viele Medien: Sie haben der saftigen Schlagzeile – oder der politischen Opportunität willen – die eigenen Grundsätze über die anonymisierte Berichterstattung in Gerichtsverfahren in den Wind geschlagen. In der Berichterstattung einiger Medien wird nachgerade offensichtlich, dass die Redaktionen gerne ein Exemplar statuierten und dem Angeschuldigten die Quittung dafür präsentieren wollten dafür, dass er einen Ausschluss der Medien verlangt hatte.
Von Reflexionsvermögen oder nüchterner Sachlichkeitkeit bei der Wahrnehmung der publizistischen Aufgabe zeugt dies nicht.
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